Maltechnik

«Messen Sie nach!»

Ferdinand Hodler verlässt sich nicht einfach auf sein Auge, sondern vermisst seine Modelle und Landschaften. Um Bilder effizient zu fertigen, nutzt er verschiedene Kopiermethoden.

Anonym, Hodler malt den Mäher auf dem Dach seines Ateliers, rue du Rhône, Genf ca. 1910

Ferdinand Hodler geht seine Motive akribisch an. Denn es ist ihm ein Anliegen, die Natur präzise wiederzugeben. Für eine Bildidee testet er mehrere Modelle und vermisst sie. Und er ermahnt auch Künstlerkollegen nachzumessen. Für den Holzfäller sind ein jüngerer und ein älterer Arbeiter nachgewiesen.

«Hemdsärmelig stand Hodler vor einer jungen Dame und fuchtelte mit seinem Zirkel (…) auf ihrem Gesicht herum, das einem wind und weh werden konnte.»

Johannès Widmer beschreibt die Szene, Widmer, 1919, S. 14–15

die Natur abpausen: Netzrahmen

Um eine Person exakt zu erfassen, stellt Hodler einen Rahmen vor sie, der mit einem Netz aus Schnüren bespannt ist. So kann er die Figur auf das entsprechende Liniengitter auf der Leinwand oder dem Papier übertragen. Dieser Netzrahmen ist ihm ein wichtiges Hilfsmittel, das von mehreren Atelierbesuchern beschrieben wird. Das Liniengitter bleibt im fertigen Bild teilweise sogar sichtbar und kann mit kunsttechnologischen Untersuchungen nachgewiesen werden. Ferdinand Hodler beschreibt das Vorgehen in einem Skizzenheft und auf die Frage eines Künstlerkollegen, wie er einen Ritter in den Marignano-Fresken so gelungen hinbekommen habe, antwortet er: «Ich habe ihn durchs Netz gezeichnet, Millimeter für Millimeter.»

Ab Mitte der 1890er-Jahre weisen alle analysierten Bilder, für die Hodler direkt mit einem Modell arbeitet, Netzrahmenlinien auf, im Gegensatz zu seinen eigenhändigen Kopien eines Motivs. Bisher wurde jedoch noch kein Holzfäller kunsttechnologisch untersucht.

Netzrahmen in Hodlers Skizzenbuch: Carnets Hodler, 1958-0176-226, S. 14/15, MAH Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève

Vergrössern: Übertragunslinien

Die Zeichnung in der Sammlung des Museo Villa dei Cedri ist ebenfalls mit einem Liniengitter versehen. Es handelt sich um Übertragungslinien, die dazu dienen, ein Motiv von einem Bild auf ein anderes zu übertragen, meist auf ein grösseres Format. So sind beispielsweise vom Holzfäller nebst unzähligen Zeichnungen und Skizzen drei Formate bekannt, die Hodler allenfalls auf diese Weise übertragen und vergrössert hat.

Ferdinand Hodler, Holzfäller, 1910, Bleistift auf Karton, 41.6 × 25.4 cm, Museo Villa dei Cedri, Bellinzona
Ferdinand Hodler, Der Holzfäller, um 1910, Öl auf Papier auf Leinwand, 134 × 107 cm, CR 1438, Lonza AG, Basel

Vervielfältigung

Für die Übertragung eines Motivs in gleicher Grösse, wie es beim Holzfäller oft der Fall ist, nutz Hodler auch Pausen: Er legt ein transparentes Papier auf das Bild und paust die Figur ab. Dann überträgt er die Umrisslinien auf die Grundierung der neuen Version, entweder indem er sie direkt in die Grundierung einkerbt oder mittels Grafit auf der Rückseite des Pauspapiers kopiert. Hodler fertigt auch Pausen auf Vorrat an, um ein Motiv beliebig wiederholen zu können, falls das ursprüngliche Bild verkauft ist. Seine Kopien sind anders gemalt, als das jeweils erste Bild einer Serie. Die Pinselführung ist schneller und direkter und ist ganz auf hohe Effizienz ausgerichtet. Hodler unterscheidet aber nicht zwischen dem ersten Bild einer Serie und den weiteren. Das zweite, dritte oder zehnte erscheint ihm sogar oft besser, weil es souveräner ausgeführt ist und er Lehren aus früheren Versionen ziehen kann.

Die besonderen Kenntnisse des Autodidakten

Übertragungslinien nutzen auch andere Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts wie Robert Zünd oder Cuno Amiet. Hingegen sind Netzlinien, die seit der Renaissance dazu dienen, die Natur in ein Bild zu überführen, zu Hodlers Zeit für einzelne Figuren nicht gebräuchlich und verstossen als Hilfsmittel gegen den Anspruch einer akademischen Ausbildung, in der Aktzeichnen ausgiebig geübt wird.

Albrecht Dürer, Der Zeichner des liegenden Weibes, 1515–1525, Holzschnitt, 7.5 × 21.5 cm

Hodler hat kein solches Training durchlaufen, dafür kennt er sich mit Kopierverfahren aus. Noch als Schüler arbeitet er bei seinem Stiefvater Gottlieb Schüpbach in dessen Werkstatt für Dekorationsmalerei mit. In diesem Handwerk sind Übertragungslinien noch bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts gebräuchlich.

Während seiner Lehre beim Vedutenmaler Ferdinand Sommer kopiert Ferdinand Hodler Landschaften anderer Maler. Sommers Werkstatt ist auf Effizienz ausgerichtet, die Produktion erfolgt fast fabrikmässig, wobei Hodler später die Vereinfachung der Arbeitsmethoden positiv hervorhebt. Hodlers offener und pragmatischer Umgang mit technischen Hilfsmitteln hat also mit seinem persönlichen Werdegang zu tun. Ihre Ablehnung hält er für falsche Scham, «Geckerei» oder «Bluff». Für ihn sind sie Gewähr für Genauigkeit und bedeuten einen Zeitgewinn, auf den sich kein Künstler verzichten sollte.